Inklusion am Arbeitsplatz – Unternehmensbeispiele
BVG Berliner Verkehrsbetriebe
Foto: Ökonomin Susanne Emmermann vor dem Computer mit Sprach- und Vergrößerungssoftware
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„Bei der BVG ist es kein Handicap, ein Handicap zu haben.“
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Wie setzen Sie die berufliche Integration von Menschen mit Behinderung in ihrem Unternehmen um?
Gesamtvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen Jens Breitenborn: “Ziel ist es, dass alle Belange der Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung berücksichtigt werden. Als öffentlich-rechtliches Unternehmen gilt für uns die Verwaltungsvorschrift “Integration behinderter Menschen“ vom Senat. Zusätzlich hat die BVG eine eigene Vorstandsverfügung zur Anwendung des Schwerbehindertenrechts. Die Vorstandsverfügung hält fest, welche Rechte die Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung haben.
In allen neun Dienststellen gibt es eine Schwerbehindertenvertretung. Die Schwerbehindertenvertretung, achtet bei allen unternehmensweiten Maßnahmen auf die Berücksichtigung der Belange der Menschen mit Behinderung, ist Ansprechpartner*in für die 1.308 schwerbehinderten Kolleg*innen (Stand 09/2020) als auch für den Arbeitgeber und zugleich Vermittler*in zwischen diesen. Dabei übernimmt die Gesamtschwerbehindertenvertretung die Perspektive der Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung und gibt Ratschläge oder fordert Verbesserungen ein. Es konnte z.B. erreicht werden, dass beim Softwareeinkauf die Barrierefreiheit Bestandteil von Ausschreibungen ist. Oft ist die Software nicht barrierefrei, obwohl die Hersteller das behaupten. Den Programmierern sind viele Barrieren gar nicht bekannt. Sie kennen die Probleme einfach nicht.“
Jens Breitenborn: „Wir haben z.B. den Arbeitskreis von sehbehinderten Mitarbeiter*innen (SeMa) gegründet um zu erfahren, welche Barrieren es in den Arbeitsprozessen gibt und wie diese abgebaut werden können. Die sieben Kolleg*innen haben das Intranet auf Barrierefreiheit getestet und der IT-Abteilung erklärt, was verändert werden muss, so dass auch sehbehinderte Menschen damit zurechtkommen. Installiert wurde ein Hell-Dunkel-Kontrastmodus. Störende bunte Bilder am Rand der Intranetseite können nun ausgeblendet werden. Der Rand ist dann weiß. Die IT-Experten haben bei diesen Treffen den Kolleg*innen mit Sehbehinderung bei ihrer Arbeit zugeschaut. Wer das nicht getan hat, kann sich nicht vorstellen, welche Anforderungen Computerprogramme oder Internetseiten erfüllen müssen. Zusätzlich haben wir externe IT-Fachleute engagiert, die gemeinsam mit unseren Softwareleuten Lösungen für die Verknüpfung der Vorlese- und Vergrößerungsprogramme für sehbehinderte Mitarbeitende mit dem BVG-Betriebssystem gefunden haben. Heute gibt es eine IT-Mitarbeiterin, die für die Betreuung der sehbehindertengerechten Computerprogramme zuständig ist. Das war das erste Mal, dass wir uns mit Mitarbeitenden mit einem ähnlichen Handicap zusammengefunden haben, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.“
Jens Breitenborn: „Integration wird gelebt! Das Engagement reicht von der Teilnahme am Diversity-Tag, Berichten in der Mitarbeiter*innenzeitschrift, der Kooperation mit dem Annedore-Leber-Berufsbildungswerk (ALBBW), der Vergabe von Praktika an schwerbehinderte Auszubildende, die Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Handicap, eine Reparatur-Werkstatt im Bereich Omnibus für Mitarbeitende, die ihren Job nicht mehr ausüben können, eine bei der U-Bahn angesiedelte Sonderwerkstatt für seelisch und psychisch Erkrankte sowie die Teilnahme am „Schichtwechsel“, einem Arbeitsplatztausch zwischen Behindertenwerkstatt- und BVG-Mitarbeitenden an einem Tag im Jahr.“
Wie verstehen Sie Integration?
Jens Breitenborn: „Die Unternehmensphilosophie der BVG ist, dass hier jeder so sein kann, wie er/sie mag! Hier muss sich niemand bzgl. seiner Identität verbiegen. Inklusion ist bei der BVG Teil der Unternehmenskultur und wird auch bei Führungskräfteschulungen so vermittelt.“
Jens Breitenborn: „Wenn man sich bei der BVG bewerben möchte, ist es kein Handicap, ein Handicap zu haben! Man sollte offen damit umgehen! Die Schwerbehindertenvertretung wird über jede Bewerbung eines Menschen mit Schwerbehinderung informiert. Jede*r hat eine Chance, es sei denn, der- oder diejenige ist offenkundig ungeeignet für diese Stelle. Meine Tipps: Informieren Sie sich, worauf Sie sich bewerben! Einfach vorher anrufen, damit Anforderungen und Voraussetzungen klar sind. Wenn ein*e Bewerber*in aufgrund technischer Probleme mit der Online-Bewerbungsplattform nicht zurechtkommt, bitte anrufen oder mailen. Es werden Lösungen gefunden! Bewerbungen sollten auf aktuelle Ausschreibungen erfolgen, also vorher recherchieren, was gesucht wird und schauen, ob es für mich passt. Keine Angst haben oder Zurückschrecken, sondern Mut und Eigeninitiative zeigen!“
Welche Tipps können Sie anderen Unternehmen und Fach- und Führungskräften mit Behinderung geben?
Jens Breitenborn: „Traut Euch! In Deutschland gibt es über 40.000 Unternehmen, die noch keine Menschen mit Handicap beschäftigen, obwohl sie gesetzlich verpflichtet sind. Die Verantwortlichen dieser Unternehmen sollten sich mit dem Thema auseinandersetzen, was es bedeutet, eine Behinderung zu haben. Ich glaube, das sind Vorbehalte, die aus Unkenntnis resultieren. Jeder kann von jetzt auf gleich von Behinderung betroffen sein. Unternehmen sollten sich über Good-Practice-Beispiele austauschen.“
Jens Breitenborn: „Umdenken! Wir probieren uns auch in einem neuen Weg bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter*innen. Wir planen neue Mitarbeitende einzustellen und prüfen dann, wo wir die/den Kolleg*in im Unternehmen sinnvoll und nutzbringend einsetzen können. Die Idee ist, die besonderen Kompetenzen für uns zu nutzen. Beispiel: Thema Orientierung auf einem Bahnhof, das Lesen von Fahrplänen etc. Hier sind wir derzeit experimentell unterwegs.“
Aus dem Arbeitsalltag eines Mitarbeitenden mit Behinderung
Hauptsachbearbeiterin im Finanzbereich Susanne Emmermann: „In der Abteilung „Alternative Finanzierung“ koordiniere ich als studierte Ökonomin die Abläufe der Finanzierung von U-Bahn-Bauprojekten. Ich bearbeite speziell die Streckensanierung und den Neubau. Bei meiner Computertätigkeit benötige ich das Sprachausgabeprogramm JAWS sowie das Vergrößerungsprogramm ZoomText. Ich bin heute als blind eingestuft. Draußen kann ich mich nicht mehr ohne Blindenstock orientieren und sehe nur noch hell und dunkel. Vereinzelte Worte kann ich am Computer noch erkennen, aber vollständig lesen kann ich sie nicht mehr. Das war nicht immer so. 1992 erhielt ich im Alter von 32 Jahren die Diagnose Retinitis Pigmentosa (RP). Das ist eine Netzhautdegeneration, eine schleichende Erblindung. Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade als Mitarbeiterin der Innenrevision der Berliner Verkehrsbetriebe in Ostberlin (BVB) von der BVG übernommen worden. Da die Sehbeeinträchtigung noch nicht so schlimm war, habe ich vor Angst meinen Job zu verlieren, nichts gesagt.
Mit der Einführung von Computern markierte ich die Schrift, um diese besser lesen zu können. Das Integrationsamt bewilligte später meine erste Vergrößerungssoftware. Erst als wir 2015 in das neue Gebäude an der Jannowitzbrücke umzogen, bemerkten einige meiner Kolleg*innen meine Sehbeeinträchtigung, als ich meinen Blindenstock auch im Büro benutzte, um mich zurecht zu finden. Heute unterstützt mich mein Arbeitsassistent an 20 Stunden in der Woche. Er hilft mir beim Lesen von Tabellen, Drucken, guckt nach, ob das Logo und das Datum richtig platziert sind. Dank der Arbeitsassistenz bin ich fast genauso schnell wie andere auch. Da ich mich erst sehr spät geoutet habe, habe ich oft nur per Zufall Informationen über Beratungsstellen und Arbeitshilfen erhalten. Seit 2016 engagiere ich mich für Kolleg*innen mit Sehbeeinträchtigung in der Arbeitsgruppe sehbeeinträchtigter Mitarbeiter*innen (SeMa) und stehe im engen Austausch mit der Gesamtschwerbehindertenvertretung. 2021 werde ich mein 40. Dienstjubiläum begehen.
Bewerber*innen mit Handicap empfehle ich mutig zu sein, Probleme zu äußern und sich beraten zu lassen. Gehen Sie erstmal davon aus, was Sie gerne machen möchten und schauen dann, wie man das umsetzen kann. Taxifahrer*in kann man nicht werden, wenn man blind ist. Aber Vieles ist doch möglich! Und deswegen sollte man mit der höchsten Anforderung an etwas herangehen und gucken, geht das oder geht es nicht. Lassen Sie sich nicht entmutigen!
Die Beratungsstelle für Menschen mit Sehbehinderung in der Turmstraße kann ich sehr empfehlen. Dort gibt es Beratung für Arbeitshilfen, medizinische und soziale Fragen, Unterstützung von Augenärzten und Optikern sowie Empfehlungen für Hilfsmittel und Erprobungen.
In meiner Freizeit fotografiere ich, gebe Workshops für „Lightpainting“, eine Technik des Fotografierens, und zeige meine Werke in Ausstellungen.“